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Title
Zuflucht im Gelobten Land. Deutsch-jüdische Künstler, Architekten und Schriftsteller in Palästina


Author(s)
Heinze-Greenberg, Ita
Published
Darmstadt 2023: wbg
Extent
320 S., 50 Abb.
Price
€ 29,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Ines Sonder, Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Potsdam

„Ja, hast Du denn wirklich gedacht, du könntest hier genau da anfangen, wo Du dort aufgehört hast?“, fragte sich der Schriftsteller, Publizist und Verleger Martin Feuchtwanger kurze Zeit nach seiner Ankunft in Palästina.1 Der 1886 in München geborene jüngere Bruder Lion Feuchtwangers war nach mehrmonatiger Fahrt im September 1939 mit einem illegalen Flüchtlingstransport, auf dem abgewrackten Dampfer FROSSULA, an der Küste von Tel Aviv gelandet. Bereits 1933 hatte er seine erfolgreiche Verlegertätigkeit in Halle aufgeben müssen und war zunächst nach Prag geflohen. In Tel Aviv gründete er den Exilverlag Edition Olympia, in dem er bis zu seinem Tod 1952 rund 40 Titel in vorrangig deutscher Sprache veröffentlichen konnte. Den Lebensunterhalt seiner Familie konnte er damit allerdings nicht bestreiten und eröffnete einen Mittagstisch in Tel Aviv.

Martin Feuchtwanger gehört zu den rund 120 zwischen 1933 und 1941 nach Palästina emigrierten deutsch-jüdischen Künstlern, Architekten und Schriftstellern, die im Fokus des jüngsten Buches der Kunsthistorikerin Ita Heinze-Greenberg stehen. Im Vorwort schreibt die Autorin: „Auch wenn es allgemeine Parameter für die deutsch-jüdische Emigration gibt – Einwanderungszahlen, Wirtschaftsstatistiken, politische Rahmenbedingungen –, setzt sich das Exil aus Einzelbiografien zusammen.“ (S. 7) Eine, die den rund 60.000 aus Deutschland nach Palästina geflohenen Juden und Jüdinnen und ihrem schwierigen Anpassungsprozess in ihrer neuen Heimat schon früh eine Stimme verliehen hat, war die aus Königsberg gebürtige und seit 1924 in Palästina ansässige Journalistin Gerda Luft mit ihrem Buch „Heimkehr ins Unbekannte“ (1977). Ihre Studie ist eine erste Überblicksdarstellung zum gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben und Wirken der deutsch-jüdischen Immigranten in den 1930er-Jahren in Palästina, darunter in den Bereichen Erziehung, Medizin, Sozialfürsorge, Kunst und Politik.2

Der explizite Fokus auf die künstlerische und literarische Emigration in „Zuflucht im Gelobten Land“ ist in dieser Gesamtschau neu, mit Blick auf den Großteil der vorgestellten Protagonisten findet sich indes viel Bekanntes im neuen Kontext. Hierzu liegen in den letzten Jahren und Jahrzehnten mannigfaltige Einzeldarstellungen vor, nicht zuletzt aus der Feder der Autorin selbst. So hatte Heinze-Greenberg mit ihrer Dissertation zu Erich Mendelsohns Œuvre in Palästina einen Anfang zu der heute reichhaltigen Literatur zum deutschsprachigen Architekturexil im damaligen britischen Mandatsgebiet gemacht.3 Sie selbst schreibt im Vorwort: „Zuflucht im Gelobten Land setzt Schlaglichter auf einzelne Protagonisten und Sachverhalte, mitunter auf ganz individuelle Befindlichkeiten und Situationen, die mir aussagekräftig und aufschlussreich genug erschienen, um dem Leser eine Annäherung an den überaus komplexen Untersuchungsgegenstand zu ermöglichen.“ (S. 13)

Im „Prolog: Emigrationsschiffe“ steht das klassische Transportmittel von Auswanderern und die Schiffspassage als Reflexionsraum zwischen dem Abschied von der alten Heimat und der Ankunft im Exilland, das vielen zur neuen Heimat wurde, im Mittelpunkt. Mit Überlegungen zu den Begriffen „Exil“ und „Heimat“ im zionistischen Kontext beginnt das erste Kapitel „Von Berlin nach Tel Aviv: Ankunft, Eingewöhnung und Beheimatung“. Dem zionistischen Verständnis nach war Erez Israel kein Exilland, sondern die Einwanderung eine Rückkehr in die alt-neue Heimat. Der Großteil der Flüchtlinge der 1930er-Jahre aus Deutschland, die Jeckes, waren jedoch keine Zionisten, und die Einordnung in die im Aufbau begriffene „nationale Heimstätte“ für viele ein Existenzkampf – beruflich hier wieder anzufangen, wo man dort aufgehört hatte, war den meisten nicht vergönnt. Das Schlagwort hieß Berufsumschichtung, die im Abschnitt „Hühnerzüchter mit Doktortitel“ in den Blick genommen wird. Eine eindrückliche Fotografie zeigt einen ehemaligen Stuttgarter Landgerichtsrat, der nun als Schuster in der Jaffa Road in Jerusalem arbeitet (S. 61).

Im Kapitel „Europa in Asien: Translozierte westliche Lebenswelten“ wird das Wirken der eingewanderten Architekten vorgestellt, die mehrheitlich an westeuropäischen insbesondere deutschen Architekturschulen ihre Ausbildung erhalten hatten. Des weiteren wird die Rolle der neuen Frau und der Hauswirtschaft beim Prozess der Nationenbildung erörtert, der Kibbuz und das Bauhaus als Labore sozialer Utopien hinterfragt, sowie das Entstehen der „Weißen Stadt“ von Tel Aviv als „Hotspot der Moderne“ in diesen Jahren beleuchtet, die 2003 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde.

Das Kapitel „Jerusalem: Vermächtnis in Stein und Wort“ blickt auf die Anfänge der Kunstgewerbeschule Bezalel seit ihrer Gründung 1906 bis 1929, und ihre Neueröffnung als New Bezalel School of Arts and Crafts im Jahr 1935, deren Lehrer neueingewanderte Künstler waren und die Bauhauspädagogik implementierten. Im Jerusalemer Stadtteil Rehavia errichtete Erich Mendelsohn für seinen Bauherrn, den Kaufmann und bibliophilen Verleger Salman Schocken, eine Villa und ein Bibliotheksgebäude; sein eigener Wohnsitz und Büro befanden sich in der alten Windmühle. In diesem „Viertel der Dichter und Denker“ lebten in den 1930er-Jahren viele aus Deutschland eingewanderte Akademiker:innen und Professor:innen – die aus Berlin gebürtige Journalistin Gabriele Tergit, die mit kritischem Blick ihr neues soziales Umfeld analysierte, nannte es eine „Villenstadt der Wohlhabenden“.4

In „Sprache und Identität“ nimmt Heinze-Greenberg die Widrigkeiten der Schriftsteller mit der hebräischen Sprache ins Visier. Anders als Künstler und Architekten, die ihre ästhetischen Ausdrucksmittel weiterhin verwenden konnten, standen die emigrierten Dichter vor einem existentiellen Dilemma. Stellvertretend hierfür steht der Ausspruch Schalom Ben-Chorins: „Aus einem Land kann man auswandern, aus einer (Mutter-)Sprache nicht.“ (S. 207) Arnold Zweig, der als Schriftsteller auf eine beachtliche Karriere in Deutschland zurückblicken konnte, sah sich nach seiner Niederlassung 1934 in Haifa mit Ignoranz gegenüber seinem Werk konfrontiert; Anfang 1943 zerstörte eine Bombe die Jerusalemer Druckerei, in der die von ihm mitherausgegebene deutschsprachige Wochenschrift „Orient“ gedruckt wurde.

Das letzte Kapitel wendet sich erneut den Begriffen „Exil“ und „Heimat“ zu, nun aber nach dem 8. Mai 1945. Wie blickten die ehemaligen Exilanten nun auf Deutschland? Einige hatten als Soldaten in der Jüdischen Brigade der Britischen Armee gedient und nach Jahren des Exils erstmals ihr früheres Heimatland wiedergesehen, wie der Architekturkritiker Julius Posener, der seine ambivalente Sicht auf Deutschland 1947 im Verlag Peter Freund in Jerusalem publizierte.5 Einige entschieden sich zur Rückkehr aus dem Exil, wie die Malerin Lea Grundig, die 1940 als illegale Immigrantin den Untergang des Flüchtlingsschiffs PATRIA im Hafen von Haifa überlebt hatte, und Arnold Zweig, die beide in die sowjetische Besatzungszone gingen und zum Entsetzen früherer Wegbegleiter, wie Walter Zadek, zu israelkritischen Ja-Sagern in der DDR wurden.

Schließlich der „Epilog: Reparationsschiffe“: Hier widmet sich die Autorin den im Rahmen des Luxemburger Abkommens beschlossenen Entschädigungszahlungen an Israel gelieferten vier Passagierschiffen, deren erstes 1955 die TS ISRAEL war. Für die Innenausstattung zeichneten Architekten verantwortlich, die in den 1930er-Jahren ebenfalls als Emigranten ins Land kamen: Munio Weinraub und Al Mansfeld sowie Dora und Yeheskiel Gad. Im öffentlichen Bereich an Bord waren Werke israelischer Künstler zu sehen, sodass die Schiffe als „Mikrokosmos“ und „Botschafter des jungen jüdischen Staates“ fungierten (S. 280).

Mit „Zuflucht im Gelobten Land“ hat Ita Heinze-Greenberg, die viele Jahre in Israel geforscht und gelehrt hat und zuletzt Titularprofessorin für Architekturgeschichte an der ETH Zürich war, einen auf neuen Perspektiven basierenden ebenso fundierten wie facettenreichen Überblick über die deutsch-jüdische Einwanderung nach Palästina/Israel gegeben, der sich auch in der Auswahlbibliografie widerspiegelt. Hier sind über die belegten Zitate hinaus sämtliche Werke verzeichnet, die der Autorin als Informations- und Inspirationsquelle dienten. Die Auswahl der Abbildungen ist vielseitig und umfasst vor allem Fotografien und Werke der im Buch behandelten Künstler, Architekten und Fotografen, darunter Walter Zadek, Zoltan Kluger, Helmar Lerski, Alfred Bernheim, Heinz Fenchel, Lea Grundig und Else Lasker-Schüler.

Anmerkungen:
1 Martin Feuchtwanger, Zukunft ist ein blindes Spiel. Erinnerungen, München 1989, S. 226.
2 Gerda Luft, Heimkehr ins Unbekannte. Eine Darstellung der Einwanderung von Juden aus Deutschland nach Palästina vom Aufstieg Hitlers zur Macht bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1933–1939, Wuppertal 1977. In dem Buch wird die Anzahl der deutsch-jüdischen Einwanderer noch auf 50.000 beziffert.
3 Ita Heinze-Mühleib, Erich Mendelsohn, Bauten und Projekte in Palästina (1934–1941), München 1986.
4 Jens Brüning (Hrsg.), Gabriele Tergit, Im Schnellzug nach Haifa, Frankfurt am Main 1998, S. 56.
5 Erst 55 Jahre nach der Niederschrift wurde es erstmals in Deutschland veröffentlicht; vgl. Julius Posener, In Deutschland 1945 bis 1946, Berlin 2001.

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